Was ist das? Worüber reden wir? Wer steckt dahinter?

Die  vorliegende Praxishilfe ESE ist für alle Schulen des Regierungsbezirks Detmold gedacht, die im Alltag Unterstützung und Handlungssicherheit im Umgang mit schwierigem Verhalten von Schülerinnen und Schülern suchen.

Im Kontext der inklusiven Schulentwicklung ist es ein verpflichtendes und mit besonderen pädagogischen Herausforderungen verknüpftes Handlungsfeld, lernförderliche Rahmenbedingungen für Kinder mit unterschiedlichen sozial-emotionalen Voraussetzungen zu schaffen. Grundlage hierfür ist ein wertegeleitetes im Schulprogramm verankertes Erziehungskonzept. Dabei kann im Einzelfall aber auch deutlich werden, dass es Situationen geben kann, für die die jeweilige Schule noch keine angemessenen Angebote entwickelt hat. Spezialisierte Unterstützung ist dann notwendig.

Grundidee der im Auftrag der Bezirksregierung Detmold erstellten Praxishilfe ist es, geleitet durch Fragen oder geschilderte Probleme aus der Praxis kurz und informativ Anregungen, Antworten und Hilfestellungen zur Prävention von und Intervention bei  schwierigen Unterrichts- und Erziehungssituationen zu geben.

Aus diesem Grund wurden vorab einzelne Schulen aus allen Kreisen des Regierungsbezirks gebeten, Fragen zu folgenden Themen zu formulieren:

  • Erziehungskonzept
  • Prävention
  • Förderplanung
  • Beratung
  • Pädagogische Grenzsituationen

Jedes Thema kann einzeln aufgerufen werden. Ein Infotext bietet einen Überblick über den jeweiligen Themenschwerpunkt. Im Anschluss daran finden sich die bisher formulierten Fragen und deren Ausarbeitungen.
Die Antwortvorschläge sind als Hilfe, Anstoß und Orientierung zu verstehen. Dabei fließen die unterschiedlichen Perspektiven des Autorenteams und die unterschiedlichen Praxiserfahrungen aus Förderschule und Grundschule bewusst mit ein.

Wir sprechen im Folgenden von schwierigen Kindern und schwierigen Klassen. Auf der einen Seite gibt es die Sichtweise der Lehrperson auf die Kinder: „Schwierige Kinder sind Kinder, die wegen ihres Verhaltens von Lehrkräften als schwierig erlebt werden.“ Dies ist oft die subjektive Wahrnehmung einer oder mehrerer Lehrkräfte. Auf der anderen Seite steht das Kind: „Schwierige Kinder sind auch Kinder, für die das Leben (in der Schule) schwierig ist.“
„In schwierigen Klassen ist eine Gruppendynamik entstanden, die Unterricht erschwert und die Klasse für Lehrkräfte als schwierig erscheinen lässt“ (Bartnitzky, J. (2014): Schwierige Kinder Schwierige Klassen. Hamburg, S.8).

Uns ist es wichtig, dass jede Schule, die diese Praxishilfe nutzt, konkrete Anregungen im Umgang mit schwierigen Situationen erhält. Dabei möchten wir keine Rezepte, sondern Impulse für die eigene Auseinandersetzung im Kollegium liefern.
Schulen können weiterhin neue Fragen einbringen. Dazu kann das Postfach der Fachstelle Inklusion (siehe Seitenspalte rechts) genutzt werden. Antworten werden dann in regelmäßigem Abstand ausgearbeitet und über die Internetseite der Bezirksregierung Detmold verfügbar gemacht.
 

Wer steckt dahinter?

LRSD Martin Gustorff, BR Detmold Dez. 41
Kevin Damm, Schulleiter der Ernst-Hansen-Schule – Förderschule mit den Förderschwerpunkten Lernen, Sprache und emotionale und soziale Entwicklung
Lena de Vries, Sonderpädagogin Schulstation Grünau
Martin Gerling, Schulleiter der Christian Morgenstern Schule - Förderschule für emotionale und soziale Entwicklung, Primarbereich
Stephan Osterhage-Klingler, Sonderpädagoge Christian Morgenstern Schule

LRSD Rita Lackmann, BR Detmold Dez. 41 (bis Juli 2020)
Carla Hülsmann, Sonder- und Grundschullehrerin, Fachberatung Inklusion BR Detmold (bis Juli 2018)
Beate Busse, Grundschullehrerin, Inklusionskoordinatorin für den Kreis Lippe (bis Juni 2016)

Jede Schule hat einen klaren Erziehungsauftrag, der begründet ist durch die Verfassung des Landes NRW, das Schulgesetz und die curricularen Vorgaben. Sie stellen die rechtlichen Grundlagen dar.

„Die Arbeit in der Schule zielt im Sinne eines erziehenden Unterrichts darauf ab, die Kinder zu unterstützen, die Welt zunehmend eigenständig zu erschließen, tragfähige Wertvorstellungen im Sinne der demokratischen Grundordnung zu gewinnen und dadurch Urteils- und Handlungsfähigkeit zu entwickeln. Damit verbunden ist die Aufgabe der Lehrkräfte Schülerinnen und Schüler zu solidarischem Handeln in sozialer Verantwortung, zu Toleranz und Achtung der Menschenrechte und anderer, auch religiöser, Überzeugungen zu einem friedlichen Miteinander in der Einen Welt, sowie zur Achtung vor Natur und Umwelt zu erziehen. Mädchen und Jungen müssen sich deshalb angenommen fühlen und zu Persönlichkeiten entfalten können“ (Richtlinien und Lehrpläne für die Grundschule in Nordrhein-Westfalen 2008, S. 14,15).

Die Zusammenarbeit zwischen Elternhaus und Schule bildet die Basis für eine gute Erziehungsarbeit in der Schule. Zur Abstimmung und Vereinbarung eines gemeinsamen Orientierungsrahmens für Erziehung müssen alle Beteiligten (Schüler und Schülerinnen, Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Klassen- Jahrgangs- Fachlehrerteams, Gesamtkollegium) miteinander kooperieren. Zweck eines Erziehungskonzeptes ist die Herstellung von Verbindlichkeit und Etablierung von Verfahrensabläufen und Routinen im Zusammenhang mit Unterstützungsangeboten der sozial-emotionalen Entwicklung der Schülerinnen und Schüler. Das schuleigene Erziehungskonzept reduziert Beliebigkeit und setzt Verbindlichkeit.
Jede Schule entscheidet, welche Schwerpunkte im Erziehungskonzept vereinbart werden.

Hilfreich können Absprachen zu folgenden Bereichen sein:

  • Kommunikation untereinander (z.B. gewaltfreie Kommunikation GFK)
  • Kommunikationswege
  • Regeln im Klassenraum, im Schulleben
  • Konsequenzen und Sanktionen
  • Umgang mit Konflikten
  • Unterrichtsangebote und Konzepte zur Förderung der Selbst- und Sozialkompetenz
  • Gemeinschaftsbildende Elemente auf Klassen- und Schulebene
  • Möglichkeiten, um das Zusammenleben gemeinsam mit den Schülerinnen und Schülern zu besprechen und zu gestalten (z.B. Sozialziele-Center, Klassenrat, Schülerparlament)
  • Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen in Grenzsituationen

Möglichkeiten zur Unterstützung des sozial-emotionalen Lernens, die in dieser Praxishilfe zu dem Thema Prävention zu finden sind, werden systemisch wirksam, wenn sie im Erziehungskonzept der Schule verbindlich vereinbart werden.

Qualitätstableaus für das Setzen und die Schärfung eigener Schwerpunkte :

  • Tony Booth, Mel Ainscow (2003): Index für Inklusion übersetzt von Ines Boban, Andreas Hinz. Halle.
  • Fachhochschule Nordwestschweiz (2012): Bewertungsraster zu den schulischen Integrationsprozessen an der Aargauer und Solothurner Volksschule. Aargau, Solothurn.
  • Konzeptionelle Merkmale und Gestaltungselemente
  • Verband Sonderpädagogik Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V. (Hrsg)(2016): Herausforderndes Verhalten bei Schülerinnen und Schülern. Berlin. S.159 ff.
  • Pädagogische Grenzsituationen

Um Kindern mit Unterstützungsbedarf im emotionalen und sozialen Bereich mit der notwendigen Struktur und Verlässlichkeit begegnen zu können, muss sich ein Kollegium einig sein. Das bedeutet auch, dass die vereinbarten Absprachen von allen auch jederzeit gelebt und eingehalten werden. Natürlich wird man dann ggf. auch eine Konsequenz setzen, von der man als Person nicht unbedingt überzeugt ist. Manchmal kann es aber auch entlastend sein, sich hinter einer Absprache „verstecken“ zu können. In schwierigen Situationen kann sich die Lehrkraft auf abgesprochene Verfahrensweisen und Regeln berufen. Das verschafft ihrem Handeln eine zusätzliche Autorität und bietet Sicherheit. Im besten Fall sind die Vereinbarungen mit allen Beteiligten im Vorfeld ausgehandelt und Verantwortlichkeiten abgesprochen, indem Unterstützernetzwerke (außer- und innerschulisch) gebildet und koordiniert sind. Das Handeln von Lehrkräften erhält so eine systemische Qualität.

Einzelne Situationen, Fälle werden möglicherweise im Klassenrat oder in kollegialen Fallgesprächen beraten. Daraus können sich neue Absprachen ergeben. So findet in der Schule ein kontinuierlicher Austausch zu zentralen Erziehungsfragen und damit auch Haltungsfragen statt.

Es bleibt vor diesem Hintergrund Aufgabe jeder einzelnen Schule, die schulinternen Absprachen und Konsequenzen für das eigene System im Rahmen des Erziehungskonzeptes zu konkretisieren. Notwendig erscheint dabei die Diskussion, welche Situationen für alle Beteiligten verbindlich abgesprochen werden sollten und welche in der Handlungsfreiheit der Klassenleitung bzw. eines Klassenteams bleiben. Wichtig bleibt, dass innerhalb einer Klasse alle dort unterrichtenden Lehrkräfte abgestimmt handeln.

Fragen und Antworten aus der Praxis zum Erziehungskonzept

Verhaltensweisen und Reaktionen von Schülerinnen und Schüler mit Unterstützungsbedarf im Bereich ESE werden von Lehrerinnen und Lehrern als von der Norm stark abweichend wahrgenommen. Übliche Unterrichts- und Erziehungskonzepte führen bei dieser Schülergruppe in der Regel nicht zu gewünschten Effekten; die Sozial- und Lernbiografie nimmt einen negativen Verlauf (vgl. Opp 2003, 509f).

Ausgangspunkt für präventive Maßnahmen ist die Annahme, dass Verhalten erlernt und verlernt werden kann; also veränderbar ist. Angesprochen wird hier im Wesentlichen die erzieherische Seite des Unterrichtens, die Herbeiführung von Ordnung, von aktiver Mitarbeit, von Kooperation und guten Beziehungen, um Verhaltensprobleme zu begrenzen oder zu vermeiden. Angemessene emotional-soziale Kompetenzen (wie Selbstregulationsfähigkeit, Kooperation und Selbstständigkeit) sind für gute schulische Leistungen bedeutsam (vgl. McClelland 2006).

Zusätzlich ist es sinnvoll, präventive Systeme zu installieren, um als Lehrperson erst gar nicht in schwierige Unterrichtssituationen zu kommen und in solch einer Situation handlungsfähig zu bleiben. Jeder verhinderte Konflikt bewirkt eine positivere Arbeitsatmosphäre. Und auch jeder erfolgreich bewältigte Konflikt zeigt dem einzelnen Schüler einen erfolgreichen Umgang mit Unstimmigkeiten. Präventive Systeme können insgesamt für die Klassengemeinschaft Sicherheit und Klarheit fördern, welches Verhalten erwünscht und welches unerwünscht ist. Zusätzlich gemeinsam im Klassenverband festgelegte Konsequenzen unterstützen das Einhalten von Regeln und den fairen Umgang miteinander.

Fragen und Antworten aus der Praxis zur Prävention

Jeder Schüler und jede Schülerin deren/dessen sonderpädagogischer Unterstützungsbedarf im Rahmen eines Verfahrens nach AO-SF festgestellt wurde und jeder Schüler und jede Schülerin, der/die in der Schule sonderpädagogisch gefördert wird, hat das Recht auf eine schriftlich festgehaltene Förderplanung


„Die Lehrkräfte, die die Schülerin oder den Schüler unterrichten, erstellen nach Beratung mit allen anderen an der Förderung beteiligten Personen einen individuellen Förderplan. Sie überprüfen ihn regelmäßig und schreiben ihn fort. Die Sätze 1 und 2 gelten auch dann, wenn eine Schülerin oder ein Schüler sonderpädagogisch gefördert wird, ohne dass ein förmliches Verfahren nach den §§ 11 bis 15 durchgeführt worden ist.“ (AO-SF § 21 (7))

„Für die pädagogisch-didaktische Konzeptbildung und ihre Umsetzung sind neben der speziellen sonderpädagogischen Kompetenz ein Förderschwerpunkt übergreifendes Denken und kooperatives Handeln der Lehrkräfte unverzichtbar. Alle Förderangebote, die sich auf Bewegung, Kommunikation, Wahrnehmung, Denken, Gedächtnis, Emotionalität und Soziabilität beziehen, sind als Bestandteile eines umfassenden individuellen Förderplans und eines Gesamtkonzepts für die jeweilige Lerngruppe auszuweisen. Der Förderplan sollte gemeinsam mit den Personen, die die Förderung durchführen, in konkrete, umsetzbare Schritte gegliedert und schriftlich festgehalten werden.“ (KMK 2000, S.16)

Sonderpädagogische Förderdiagnostik beschreibt Bundschuh (2002,222ff) folgendermaßen:
„Als förderdiagnostisch relevant erweisen sich die Beobachtung und Beschreibung der Lernausgangslage mit der anschließenden systematischen Suche nach Anknüpfmöglichkeiten, der Entdeckung von Lernwegen sowie der Prüfung der Effizienz versuchsweise initiierter Fördermaßnahmen.“

Konkret ergibt sich für jede Lehrkraft, die einen Schüler sonderpädagogisch fördern soll, folgender Ablauf:

  1. Vorinformationen: Informationen von Eltern oder anderen Einrichtungen einholen in Form einer Anamnese.
  2. Information: Beobachtung der Klasse und der einzelnen Schülerinnen und Schüler in Bezug auf Stärken, Ressourcen und Störungen. Beschreibung des Verhaltens der Schülerin und des Schülers in schulischen Situationen. Situationen sollen beschrieben werden, in denen die Schülerin oder der Schüler angepasstes Verhalten zeigt und Situationen, in denen Verhaltensweisen als störend auffallen. Dabei müssen auch die sozialen und interaktionalen Prozesse beachtet werden.
  3. Entscheidung: Einzelne greifbare Verhaltensweisen müssen von der Lehrperson als weiterzuentwickelnde Förderbereiche festgelegt werden. Hilfreich ist es hier Kollegen, Eltern und das Kind in einem Gespräch hinzuzuziehen.
  4. Förderung: Konkrete Zielsetzungen werden in Form zu erreichender Kompetenzen schriftlich festgelegt und entsprechende Fördermaßnahmen, die im Zusammenhang mit dem Förderziel stehen, über einen längeren Zeitraum ausprobiert.
  5. Evaluation: Nach einem festgelegten Zeitraum wird von der Lehrkraft zusammen mit dem Kind und möglichst unter Einbeziehung der Eltern  überprüft, ob die Maßnahmen zur gewünschten Zielsetzung geführt haben. Diese Evaluation wird Grundlage des nächsten Förderplans.

Hilfreiche Hinweise zu Lern- und Entwicklungsplanung finden sich unter:
http://www.schulentwicklung.nrw.de/q/inklusive-schulische-bildung/lern-und-entwicklungsplanung/grundverstaendnis/index.html

Fragen und Antworten aus der Praxis zur Förderplanung

Laut Schulgesetz (§ 123 Absatz 1 SchulG) gehört zu den pädagogischen Aufgaben der Lehrerinnen und Lehrer auch die Beratung der Schülerinnen und Schüler sowie ihrer Eltern.

Beratung wird in dieser Praxishilfe aus einer systemischen, lösungsorientierten Perspektive gesehen. Im Fokus steht nicht das Aufspüren von Ursachen oder Reparieren von Problemen, sondern das Suchen nach Lösungen. Die Lösungsansätze werden in einem gemeinsamen Prozess im Sinn einer kooperativen Beratung (Mutzeck 2008) mit allen Beteiligten auf Grundlage zur Verfügung stehender Ressourcen entwickelt.

Dabei wird von der Grundannahme ausgegangen, dass die Schülerin oder der Schüler in ein Systemgefüge von sozialen Beziehungen (Klasse, Schule, Elternhaus, Peergroup) eingebunden ist, innerhalb derer das auffällige Verhalten einen Zweck erfüllt. Es wird danach gefragt, welche Kontextbedingungen (Beziehungen, geltende Spielregeln) das beobachtete Verhalten sinnvoll (damit ist nicht tolerierbar oder zu entschuldigen gemeint) erscheinen lassen. Aus dem gemeinsamen Nachdenken und Sprechen über kleine erste Schritte, durch die sich die Situation verändern könnte, wird eine mögliche Lösung konstruiert. (vgl. Palmowski 2010, Steiner, Berg 2013).

Eine weitere Grundannahme ist, dass Eltern sich wünschen, dass ihre Kinder Erfolg in der Schule haben genauso wie Schülerinnen und Schüler Erfolg haben möchten und Lehrer eine erfolgreiche Ausbildung und Erziehung ihrer Schüler und Schülerinnen anstreben. Alle Beteiligten benötigen Hoffnung auf positive Entwicklungsmöglichkeiten.

Eine Methode, wie sich Kolleginnen und Kollegen untereinander beraten können, ist die kollegiale Fallberatung. Die kollegiale Fallberatung im Lehrerteam unterstützt Problemlösungen und trägt darüber hinaus durch die Auseinandersetzung über Erziehungsfragen zur Ausbildung eines schulinternen Erziehungskonzepts bei, wenn gefundene Lösungen und Absprachen von der Mehrheit des Kollegiums mitgetragen und praktiziert werden.

Tipps zur Weiterarbeit:

  • Frankenberg, D. & Urban, M. (14.04.2016, Fachtag Schulamt Lippe): Eltern-Lehrer-Kooperation. Entwicklungsgespräche lösungsorientiert gestalten.
  • Mutzeck, W. (2008):Kooperative Beratung. Weinheim, Basel: Beltz.
  • Palmowski, W. (2002): Der Anstoß des Steines. Systemische Beratung im schulischen Kontext. Dortmund. Borgmann.
  • Prior, M. (2009): MiniMax für Lehrer. Weinheim, Basel: Beltz.
  • Regionale Schulberatungsstelle Paderborn (Fortbildung 2015): Wie werden eckige Tische rund?
  • Schulische Erziehungshilfe Schleswig Holstein (2016): Kronshagener Systematischer Fragebogen Erziehungshilfe (KSFE) Systemischer Fragebogen.
  • Spiess, W. (2000): Die Logik des Gelingens. Lösungs- und entwicklungsorientierte Beratung im Kontext von Pädagogik. Dortmund. Borgmann.
  • Steiner, TH.& Berg I.K.(2013): Handbuch lösungsorientiertes Arbeiten mit Kindern. Heidelberg: Carl-Auer​​
  • https://www.schulministerium.nrw.de/docs/Schulsystem/Praevention/Kinderschutz/Arbeitshilfe-2014.pdf

Fragen und Antworten aus der Praxis zur Beratung

Pädagogische Grenzsituationen sind wahrscheinlich die im Schulalltag mit am schwierigsten zu meisternden Situationen, mit denen eine Lehrkraft konfrontiert werden kann. Das Ziel muss sein, Lehrerinnen und Lehrer handlungs- und rechtssicher für schwierige pädagogische Situationen zu machen. Den Handlungsrahmen gibt zum einen das Schulgesetz (SchulG NRW, § 53 Erzieherische Maßnahmen, Ordnungsmaßnahmen) sowie im besten Falle ein Erziehungs- und Handlungskonzept der jeweiligen Schule vor. Ein Erziehungskonzept ist eine für alle an Schule Beteiligte transparente, möglichst eindeutig handlungsleitende, innerschulisch verhandelte und vereinbarte und damit verbindliche Rahmenvorgabe (vgl. Erziehungskonzept).
Allen Beteiligten muss klar sein, was in welchem Fall passiert. Läuft beispielsweise ein Grundschüler aus der Klasse und verlässt das Schulgelände, braucht die Schule und insbesondere die aufsichtführende Lehrkraft einen abgesprochenen und für alle verbindlichen Fahrplan. Ein solcher Fahrplan wird auch als Krisenplan bezeichnet und sollte in ruhigen Zeiten unter Mitarbeit aller am Erziehungsprozess beteiligten Personen erarbeitet worden sein. Ein individueller Krisenplan, sowie ein Erziehungskonzept schaffen für die verantwortliche Lehrkraft in schwierigen Situationen Handlungssicherheit.
Und trotz Handlungssicherheit kommen Lehrerinnen und Lehrer bei der Umsetzung des Erziehungsauftrages immer wieder in schwierige Situationen. Entgegen allen sinnvollen pädagogischen Interventionen kann die Interaktion mit der Schülerin oder dem Schüler in eine verfahrene Situation geraten. Insbesondere im pädagogischen Umgang mit Kindern und Jugendlichen mit dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung sieht sich die Lehrkraft häufig einer sehr großen Herausforderung gegenüber. Selbst nachvollziehbare pädagogische Interventionen können zu eskalierenden Situationen führen, so dass eine pädagogische Grenzsituation entsteht.

Ein Beispiel aus dem Alltag:

Ein Schüler macht permanent unangemessene Nebengeräusche.

Der Lehrer nimmt Blickkontakt auf.
Der Schüler hört nicht auf.
Der Lehrer gibt ein Zeichen.
Der Schüler hört nicht auf.
Der Lehrer spricht den Schüler an.
Der Schüler hört nicht auf.
Der Lehrer geht zu dem Schüler und spricht ihn an.
Der Schüler hört nicht auf.

Alle Interventionen der Lehrkraft haben zu keiner Verhaltensänderung bei dem Schüler geführt. Die Lehrerin oder der Lehrer hat die Möglichkeit weitere Handlungsschritte folgen zu lassen oder auf eine Verhaltensänderung vorerst zu verzichten. Die Gründe für das Verhalten des Schülers sind zunächst nicht offensichtlich und können sehr vielfältig sein. Auf jeden Fall lohnt es sich, für die Weiterarbeit mit diesem Kind, den Gründen nachzugehen und eine Konsequenz für das Verhalten folgen zu lassen. Auch wenn Sie die Situation nicht direkt lösen können, so können Sie eventuell zukünftige Situationen erheblich beeinflussen, wenn Sie eine Konsequenz (Reflexionsbogen, Nacharbeit, Wiedergutmachung, etc.) aussprechen. Denken Sie an die guten Schiedsrichter beim Fußball, die eine Spielsituation weiterlaufen lassen, bis sie abgeschlossen ist und erst anschließend eine gelbe Karte zeigen. Konsequenzen müssen auch nicht sofort ausgesprochen werden. Manchmal ist es sinnvoll sich Zeit zu verschaffen und sich noch mit anderen Kollegen abzusprechen. Holen Sie sich beispielsweise den Schüler nach Unterrichtsende zu einem Einzelgespräch und besprechen mit ihm sein Verhalten und ihr weiteres Vorgehen. Vielleicht erfahren Sie auch dort schon mehr über die Beweggründe des Schülers. In der Unterrichtssituation selbst, können Unsicherheiten die Interventionen der Lehrkraft maßgeblich beeinflussen. Darf ich den Schüler vor die Tür setzen? Was passiert, wenn er weiter verweigert? Darf ich den Schüler gegen seinen Willen nach draußen begleiten? Kann ich diese Situation noch meistern? Was darf ich rechtlich?

Antworten auf diese Fragen versucht die Handreichung der Bezirksregierung Detmold „Lehrerinnen und Lehrer in pädagogischen Grenzsituationen“ zu beantworten.


Pädagogische Grenzsituationen zeichnen sich dadurch aus, dass die Interventionen der Lehrkraft keine Wirkung zeigen und der Ordnungsrahmen der Schule bzw. der Klasse erheblich gestört wird. Das Verhalten kann aber auch gegen andere Personen oder sich selbst gerichtet sein, so dass die Gefahr der Selbst- und Fremdgefährdung gegeben ist. Beispiele für Selbst- und Fremdgefährdung sind:

  • ein Kind schlägt mit seinem Kopf auf seinen Tisch
  • ein Kind kratzt sich blutig
  • ein Kind tritt, schlägt, würgt oder bespuckt andere Personen
  • ein Kind klettert wutentbrannt auf einen hohen Schulhofzaun

Solche Situationen können in der Regel nur noch durch die physische Einwirkung der Lehrkraft auf das Kind beendet werden. Doch müssen sich die Lehrerinnen und Lehrer bei ihrer Erziehungsarbeit gerade in Grenzsituationen immer den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vor Augen führen.

Auch für die physische Einwirkung gilt es, Handlungsvereinbarungen zu treffen, die für alle Personen (Schüler, Lehrer und Eltern) nachvollziehbar sind. Das Wichtigste bei der physischen Einwirkung ist immer die Würde des Kindes oder des Jugendlichen zu achten und es auf keinen Fall zu erniedrigen. Bei der physischen Einwirkung geht es um den Schutz des betroffenen Kindes selbst, sowie um den Schutz der anderen Kinder und Lehrerinnen und Lehrer. Sehr empfehlenswert ist an dieser Stelle die Auseinandersetzung mit dem Konzept PART (professionelles Handeln in Gewaltsituationen).

Wenn Sie nachweislich in PART geschult sind und auch danach gehandelt haben, handeln Sie rechtssicher, da ihr Handeln nachvollziehbar wird und Sie sich nicht dem Vorwurf des Machtmissbrauches und der Willkür gegenüber sehen.

Nicht für jede denkbare pädagogische Grenzsituation können konkrete Handlungsschritte erarbeitet werden. In der Handreichung „Lehrerinnen und Lehrer in pädagogischen Grenzsituationen“ finden Sie aber Hinweise für viele verschiedene pädagogische Situationen die sehr belastend sein können.
Die Handreichung dient im Kern der Prävention von krisenhaften Situationen. Diese ist in dreifacher Hinsicht zu verstehen:

  • primäre Prävention
    Sie will Bedingungen allgemeiner Art schaffen, die ein Auftreten von krisenhaften Situationen unwahrscheinlicher werden lassen, z.B. ein gutes Schulklima, ein Leitbild, eine gemeinsame pädagogische Grundhaltung, etc.
     
  • sekundäre Prävention
    Sie gewährleistet eine sehr konkrete Vorbereitung von Lehrerinnen und Lehrern auf krisenhafte Situationen, etwa durch die Schaffung und Einübung von Ablaufplänen oder Handlungsmustern.
     
  • tertiäre Prävention
    Sie dient der Vorbeugung einer Wiederholung stattgefundener Krisenfälle, etwa durch eine systematische Reflexion der Abläufe und eine Überprüfung der Tauglichkeit primärer und sekundärer Präventionsmaßnahmen sowie gegebenenfalls deren Veränderung.

Ziel der Handreichung, sowie dieser Internethilfe ist es, Schülerinnen und Schülern sowie Lehrerinnen und Lehrern zu helfen, krisenhafte Situationen gesund zu bewältigen und an ihnen wachsen zu können. Sie sollen in die Lage versetzt werden, möglichst rasch die Normalität des schulischen Alltags wiederherzustellen.

Fragen und Antworten aus der Praxis zu pädagogischen Grenzsituationen

Stand: Dezember 2020